2.

[15] Wol dem, der weit von hohen Dingen

Den Fuß stellt auff der Einfalt Bahn;

Wer seinen Muth zu hoch wil schwingen,

Der stöst gar leichtlich oben an.

Ein Jeder lobe seinen Sinn,

Ich liebe meine Schäfferinn.
[15]

Ein hohes Schloß wird von den Schlägen

Deß starcken Donners mehr berührt;

Wer weit wil, fellt offt auß den Wegen

Und wird durch seinen Stoltz verführt.

Ein Jeder lobe seinen Sinn,

Ich liebe meine Schäfferinn.


Auff grosser See sind grosse Wellen,

Viel Klippen, Sturm und harter Wind;

Wer klug ist, bleibet bey den Quellen,

Die in den grünen Wäldern sind.

Ein Jeder lobe seinen Sinn,

Ich liebe meine Schäfferinn.


Hat Phyllis gleich nicht Gold und Schätze,

So hat sie doch, was mir gefellt;

Wormit ich mein Gemüt' ergetze,

Wird nicht erkaufft umb Gut und Geldt.

Ein Jeder lobe seinen Sinn,

Ich liebe meine Schäfferinn.


Man steth bey reicher Leute Pforte

Sehr offt und kömpt doch selten ein;

Bey ihr bedarff es nicht der Worte,

Was ihr ist, ist nicht minder mein.

Ein Jeder lobe seinen Sinn,

Ich liebe meine Schäfferinn.


Glentzt sie gleich nicht mit theuren Sachen,

So gläntzt doch ihrer Augen Liecht:

Gar viel muß Hoffart schöne machen,

Ihr schlechter Schein betreugt micht nicht.

Ein Jeder lobe seinen Sinn,

Ich liebe meine Schäfferinn.


Ist sie gleich nicht von hohem Stande,

So ist sie dennoch auß der Welt;

Hat sie gleich keinen Sitz im Lande,

Sie selbst ist mir ein weites Feldt.

Ein Jeder lobe seinen Sinn,

Ich liebe meine Schäfferinn.


Wer wil, mag in die Lüfften fliegen,

Mein Ziel erstreckt sich nicht so weit;

Ich lasse mich an dem begnügen

Was nicht bemüht und doch erfreut

Und lobe billich meinen Sinn,

Und meine schöne Schäfferinn.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 15-16.
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