Es war ein armer Schneider

[199] Es war ein armer Schneider,

Der nähte sich krumm und dumm;

Er nähte dreißig Jahre lang

Und wußte nicht warum.


Und als am Samstag wieder

Eine Woche war herum:

Da fing er wohl zu weinen an

Und wußte nicht warum.


Und nahm die blanken Nadeln

Und nahm die Schere krumm –

Zerbrach so Scher und Nadel

Und wußte nicht warum.


Und schlang viel starke Fäden

Um seinen Hals herum –

Und hat am Balken sich erhängt

Und wußte nicht warum.


Er wußte nicht– es tönte

Der Abendglocken Gesumm.

Der Schneider starb um halber acht,

Und niemand weiß warum.
[199]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 199-200.
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