Zeichen der Zeit

[191] »Des Himmels Gestalt wißt ihr zu beurtheilen:

Aber die Zeichen der Zeit prüfet ihr nicht.«

Christus.


Hebt eure Hände, ihr Erdebewohner,

Hebt sie zum hohen gewaltigen Throner,

Eure gefalteten Hände empor!

Weinet dem Schwinger des Donners

Eure Empfindungen vor.


Zornig erblickt Er die sündige Erde.

Engel des Todes mit ernster Geberde

Hat Er vom Throne heruntergesandt,

Strafende Schwerter und Ruthen

Trägt ihre mächtige Hand.


Blutgeschrei brüllet im Osten und Norden!

Zahllose Streiter, gedungen zum Morden,

Heben die nervigen Arme voll Wuth.

Blut färbt die Scholle der Erde,

Röthet die Welle der Fluth.


Grausamkeit wandelt mit Blicken des Tigers,

Schnaubend nach Leichen, zur Seite des Kriegers;

Tröpfelnde Köpfe vergleichen am Speer.

Wieherer hauen wie Flammen

Unter dem tobenden Heer.


Aber der wilden Verzweiflung Geselle,

Aufruhr, der schwärzeste Dämon der Hölle,

Schwingt dort die Fackel in Schwefel getaucht.

Ha, wie sein Mordstrahl vom Blute

Großer Gemordeten raucht!


Grimmig empört sich das Gallische Eden,

Bürger ergreifen die Waffen und tödten.

Hört, wie des Aufruhrs Trommete erschallt!

Unter den Fäusten der Wüther

Beugt sich die Königsgewalt.[191]


Freiheit! so donnert's von Gauen zu Gauen.

Und die Gewaltthat mit eisernen Klauen

Malmet gethürmte Paläste zu Sand.

Mächtige Frevler verröcheln

Unter der Rächenden Hand.


Freiheit! herunter vom Himmel gekommen,

Hohe Gespielin der Weisen und Frommen!

Edleren bringst du nur Segen und Ruh';

Aber ein Schwert in den Händen

Rasender Völker bist du.


Fort aus dem Drange des wilden Getümmels!

Seht ihr's? da bersten die Schläuche des Himmels;

Ströme verwüsten die Völker im Zorn.

Dorten am Wipfel der Weide

Faulet ernährendes Korn.


Gott, bist du müde die Völker zu dulden?

Sind sie zu Bergen gethürmet die Schulden?

Rüstest die strafenden Donner du schon?

Tönet des Weltgerichts Glocke

Bald mit gewaltigem Ton?


Rufe die Engel des Todes zurücke!

Lächle uns wieder mit segnendem Blicke;

Vater, sieh weinende Kinder vor dir.

Sprich zu den tobenden Völkern:

Völker, seid stille vor mir!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 191-192.
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