Geheimnis der Gotheit

[5] In des Marners langem ton.


1514.


1.

Gloria patri: lob und er

got vatter in dem tron,

et filio: dem sun so her,

et spiritui sancto fron:

lob, er sei dem heiligen geist,

drei namen und ein got genent,

Sicut erat: und auch iemer

in principio: schon,

der ie was, et erit semper

in secula: on abelon,

seculorum: auch allermeist

von werlt zu werlt ewig on ent.

Got vatter seinen sun gebirt

hoch in der trinitat;

wie das geschicht? kein lerer das beschriben hat

auf diser erden kreiß,

kein mensch auch des nit würdig wür,

der dise ding ganz grüntlich weiß;

dise geburt verborgen ist

den siben künsten frei

geometrei, rhetorica, philosophei,[5]

loica und astronomei,

grammatica mit musica mit irer süßen melodei,

damit al meister sint gespeist,

haben das klerlich nit erkent.


2.

Johannes, gottes adelar,

der sach hoch in dem tron

drei person und ein wesen klar,

bei in ein maget also fron,

vil heimlikeit wart im bekunt,

als uns apocalypsis seit;

Er sach hoch in der himel kar

drei unter einer kron

gar hoch ob aller engel schar,

mit licht in dreien flamen bron,

noch west er nit den rechten grunt

der hohen geburt der gotheit;

Seit Johannes den grunt nit weiß

und kam doch also hoch,

vil weniger ein schlechter lei sol gründen noch

geburt der trinitat;

seit das sant Athanasius

von gotheit solich groß genad,

ein sprechen des heiligen geist,

hat heimelich und stet

geschriben vil von der drifaltikeit subtil,

und reichet doch nit an das zil

des sunes ewiger geburt; darum so ist ein kinderspil

was dichtet aller meister munt

von der hohen drifaltikeit.


3.

Der lerer sant Augustinus

hat auch gar schon und fein

von der geburt altissimus

geschriben klar lauter und rein[6]

und hat beweget manig frag;

da er gieng bei dem mere breit,

Do horet er ein stimme süß

von einem kindelein:

»als wenig ich des wassers flüß

mag schepfen in das grübel klein,

also wenig durchgründen mag

dein herz das wesen der gotheit!«

Augustinus must laßen ab

und ander lerer mer

zu gründen nach der hohen trinitat so her;

ir weisen merket das!

die ding in dem gelauben sten,

keiner sol gründen fürebas;

welicher weiter gründen welt,

wan der gelaub berirt;

der wür verirt, wan es keinem nit zugebirt.

manig doctor zu ketzer wirt,

der gründen wil nach der geburt got vaters, der ewig regirt,

der helf uns hie aus aller klag

in freut ewiger selikeit.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 5-7.
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