Das golt im stab Cydiae

[296] Im kreuzton Ludwig Marners.


24. juli 1551.


1.

Es schreibt Johannes Stobaeus,

wie das in Kriechenlant

ein reicher man, Archetimus,

gabe zu treuer hant

goldes ein große sume

Cydiä, seinem wirt;

Als er nun über etlich zeit

das wider haben wolt,

Cydias doch mit listikeit

verlaugnet im das golt.

Archetimus, der frume,

in für gericht zitirt.

Cydiä wurt von dem gericht

der eide aufgeleget,

das er het dises goldes nicht,

ging heim, sein list sich reget,

und macht im einen holen stab,

tet das gold als darein;

am driten tag kam er hinab

zum tempel Jovis fein

am stab ging hinkent krume,

sam in groß krankheit irt;


2.

Und gab sein stabe in die hant

mit dem verborgen golt[297]

dem Archetimo obgenant,

der im den halten solt;

und er hub auf beid hende,

sprach laut vor iederman:

»Das gold ich wol entpfangen hab

von dir, Archetimo,

das ich dir kürzlich widergab;

darauf schwer ich also

den eid an disem ende,

das ich das golt nicht han.«

Mit disem liste und betrug

vermeint er zu betriegen

menschen und auch die götter klug,

der warheit obzusiegen,

der geiz in gar verblendet het;

aber der götter schar

in balt zu schanden machen tet,

macht sein tück offenbar.

Archetimus ellende

da überwunden stan.


3.

Als er hört die unbillikeit,

so Cydias fürgab,

warf er von im in tempel, weit

von im, den holen stab

gleich vor dem altar nider,

das er brach in zwei stück,

Das golt fiel heraus auf die ert,

darbei wart der betrug

Cydiä öffentlich bewert;

zu hant das gericht klug

gab Archetimo wider

sein gold und schalt die tück.

Cydias stund in großer scham,

verlor zum gut sein ere

nachdem ein böses ende nam.

aus der gschicht ein man lere[298]

und handel treulich und stathaft

mit herzen, mund und hant.

wan got die untreu entlich straft

mit schaden und mit schant.

laß bnügen sich ein ieder,

was got bschert und das glück.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 296-299.
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