15.

[23] Tugend ist der beste Freundt,

Die uns allzeit pflegt zu lieben,

Wann die schöne Sonne scheint

Und die Wolcken uns betrüben;

Reisen wir gleich hin und her,

Ueber Land und über Meer,

Es ist ihr kein Beschwer.


Sie weiß nichts von Menschen Gunst,

Wie es zwar manch Freund hier machet,

Der auß falscher Liebesbrunst

Frölich klagt und kläglich lachet,

Der zwar gut ist vom Gesicht

Und sich aller Treu verspricht;

Das Hertze meint es nicht.


Als das leichte Glücke mich

Schien' ein wenig zu erheben,

Wolte der und jener sich

In den Todt auch für mich geben;

Nun ein kleiner rauer Wind

Nur zu wittern sich beginnt,

Ist niemand, der sich findt.


Doch will ich von meinem Muth'

Auch das minste noch nicht schreiten

Und gedencken, daß mein Guth

Wären wird zu allen Zeiten;

Dann mein Trost in Glück und Noth,

Hier und da, in Ehr' und Spott,

Ist Tugend und ist Gott.[23]

Quelle:
Martin Opitz: Ausgewählte Dichtungen, Leipzig 1869.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Weltliche Dichtungen
Weltliche und geistliche Dichtung, hrsg