Lied eines Gefangnen

[232] 1774.


Hier lieg' ich, und der Bube ruht

In seiner Huren Arm!

Trinkt, Freiheit, sich in deinem Blut

Zu neuen Lüsten warm!


Klirr, Fessel, nur! Du klagest nicht

Vor meinem Gott mich an!

Nicht Donner werden am Gericht

Mich rächerisch empfahn!


Von euch, ihr Leidenden, gesandt,

Trotzt' ich des Fürsten Wut;

Sprach kühn für dich, o Vaterland,

Und für der Unschuld Blut.


Du, Fluch der Seufzer, schalltest ihm

Wie Donner in sein Ohr;

Da schwoll in wildem Ungestüm

Sein niedres Herz empor.


Ha! Fessel, du der Wahrheit Lohn,

Hier kettest du mich an,

Wo hundert Freiheitssöhne schon

Dem Schwert entgegen sahn.


O Geister der Erwürgten, eilt

Aus eurer Gruft empor!

Umzingelt seine Ruh, und heult

Ihm eure Flüche vor![233]


Zurück! Im blut'gen Kleid erwacht

Das düstre Morgenrot,

Vollendet meine letzte Nacht,

Und weissagt meinen Tod!


O leite du, Religion,

Mich an den Blutaltar!

Da reicht mir deine Tochter schon,

Die Freiheit, Palmen dar!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 232-234.
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