2. Die Seele und die Welt

Die Seele.


Welt, ich will dich meiden

Und dienen dir nicht mehr.

Du lohnst mir nur mit Leiden,

Deine Freud' ich nicht begehr'.

Ich will von dir mich scheiden,

Hast Leides mir gethan;

Nicht länger will ich säumen

Den Schleier zu empfahn.


Die Welt.


Den Schleier wolltest du nehmen

Und wolltest von mir gehn?

Wirst du in's Kloster treten,

Ist's um deine Freude geschehn.

Doch willst du bei mir bleiben,

Wie es der Wille mein,

Dir möchte Heil bekleiben:

Mein Diener sollst du sein.


Die Seele.


Ich habe dir lange gedienet,

Gering war stets mein Lohn;

Nun will ich Jenem dienen,

Der lohnt mit ew'ger Kron'.

Dich will fortan ich meiden,

Dein Diener nimmer sein.

Du lohnst mir jetzt mit Leiden

Und einst mit ew'ger Pein.


Die Welt.


Laß diese Rede fahren

Und fasse frischen Muth;

Wollst deine Reis' auch sparen,

Das, mein' ich, wäre gut.

Du bist so froh von Sinnen,

Die Freud' ist dir bereit;

Was willst du nur beginnen

In solcher Strengigkeit?


Die Seele.


Die Zeit ist kurz auf Erden,

Das Ende nimmer fern.

All' deine Freud' und Ehren

Verlaß ich froh und gern.[289]

Du lohnest deinen Kindern

Mit Schmach und Schmerz ohn' Zahl,

Die keine Zeit mag lindern,

In ew'ger Höllenqual.


Die Welt.


Du bist noch jung an Jahren

Benutze deine Zeit

Und laß dein Trauern fahren,

Das dir die Lust verleid't.

Du kannst noch lange leben,

Viel Freuden noch ersehn,

Im Alter dich bekehren

Und so der Höll' entgehn.


Die Seele.


Bin ich auch jung von Jahren,

Der Tod ist nah zur Hand,

Der Niemanden will sparen,

Das ist mir wol bekannt.

Viel sind dahin gefahren

Der Frohen jung und alt;

Nun liegen sie in der Erde

Wie Blei so schwer und kalt.
[291]

Die Welt.


Du kannst dich nicht besinnen,

Was zu einem Orden gehört:

Deine Natur mußt du bezwingen,

Alle Freude wird dir zerstört.

Ein arm elendig Leben

Umgiebt dich eng umher.

Du darfst dich ihm nicht geben,

Das Joch ist dir zu schwer.


Die Seele.


Der König hoch dort oben,

Der soll mein Helfer sein,

Den alle Engel loben

Im lichten Himmelsschein.

Vertrauen will ich fassen,

Sein Gnadenarm reicht weit.

Er wird mich nicht verlassen,

Er hilft mir in dem Streit.


Die Welt.


Wer mochte dir das sagen?

Das wüßte ich doch gern,

Denn deinen jungen Tagen

Liegt solch ein Denken fern.[293]

Aus Mißmuth willst du wählen?

Nicht hören willst du mich?

Bald wird dich Reue quälen,

Mein Kind, ich warne dich.


Die Seele.


Du willst mich fein belügen,

Ich kenne dich, o Welt!

Willst listig mich betrügen,

Wie du Manchen hast gefällt.

Magst deine Netze breiten,

Magst locken noch so schön:

Ich will von dir mich scheiden,

Einen andern Weg zu gehn.

Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 287-295.
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Lieder (Ausgabe von 1879)
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