Bienen-Winkelried

[190] Nur kein Gegrübel,

Was es sei;

Wohl oder Übel –

Der Scherz ist frei.


Die Wespen und die Bienen,

Sie haben sich entzweit:

Guelfen und Ghibellinen,

So stehen sie im Streit.

Schon um die heimische Linde,

Wie um ihr letztes Haus,

Sammelt das Bienengesinde

Sich zum entscheidenden Strauß.


Eine (sie stund auf Wache,

Und das Weinen war ihr nah)[190]

Schwur: »Eine herrliche Sache

Sei dies mori pro patria!

Daß ihr Stand so ein harter,

Freue sie fast zu sehn,

Wie die dreihundert Sparter

Würden sie untergehn.«


Sprach da eine Zweite:

»Wohl, sie stimme dem bei,

Daß zu fallen im Streite

Süß und löblich sei;

Nur sie wäre verwundert,

Daß man auf Sparta säh',

Pforzheim und seine Vierhundert

Hätte man ja in der Näh'.«


Sprach es. Da schwarz am Himmel,

Wie Heuschreckenzug,

Nahte das Wespengewimmel

Sich im Siegesflug.

Solche Schwärme und Flüge

Nimmer der Garten sah,

Wahre Hunnenzüge

Waren's des Attila.


Bald in gebogenem Horne,

Bald in gespitztem Keil

Stürmten sie – aber nach vorne

Immer den Stachelteil;

Ach, die Bienen, in Demut

Wurden sich des bewußt,

Und unendliche Wehmut

Schlich in ihre Brust.


Siehe, da schnell ein Sasse

Tritt hervor aus den Reih'n:

»Mach' euch eine Gasse,

Liebe Genossen mein!«[191]

Und als ob es ihm wäre

Heldischer Zeitvertreib,

Drückt er dreizehn Speere

Sich in Brust und Leib.


Da, die Bienen klammern

Grimm an den Feind sich an,

Alle Wespen jammern:

»Rette sich, wer kann!«

Aber mit Waffen, schartig,

Hummeln und andere mehr

Fallen jetzt landsturmartig

Über die Flüchtigen her.


Abend kommt; es schattet;

Letzte Röte schied;

Siehe, da wird bestattet

Bienen-Winkelried.

Solch ein Gästegedränge,

Alle mußten's gestehn,

Und solch Leichengepränge

Hatten sie nie gesehn.


Rings auf Spitzen und Türmchen

An dem Heckenzaun

Glühten Johanniswürmchen

Hell wie Fackeln traun;

Taghell so beleuchtet

Kam der Zug daher,

Jedes Auge gefeuchtet,

Jedes Herze schwer.


Vorne drei Hummelbrummer

Schritten ernst und barsch,

Trommelten in Kummer

Ihren Trauermarsch;[192]

Dann, mit Ruhm zu melden,

Kam der wächserne Sarg,

Der des Helden der Helden

Irdische Hülle barg.


Vier kohlschwarze Käfer

– Allen wohlbekannt –

Waren, als Rappen, dem Schläfer

Drinnen vorgespannt;

Auf dem Deckel oben

Lagen, Schaft an Schaft,

Alle die dreizehn Proben

Seiner Ritterkraft.


Still des Zuges Spitze

Hat jetzt eingelenkt:

In eine Mauerritze

Wird der Sarg gesenkt.

Dann, wie Kriegsgesinde

Rasch den Gram vertauscht,

Haben im Duft der Linde

Alle sich berauscht.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 190-193.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1898)
Gedichte
Die schönsten Gedichte von Theodor Fontane
Werke, Schriften und Briefe, 20 Bde. in 4 Abt., Bd.5, Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes
Gedichte in einem Band
Herr von Ribbeck auf Ribbeck: Gedichte und Balladen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon